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Presse

Zürich West - 14.April 2022

Jetzt sind Hochhauspläne offiziell bekannt

Der «Tages-Anzeiger» machte den unter Verschluss gehaltenen «Schlussbericht für die neuen Hochhausrichtlinien der Stadt Zürich» publik. Der Inhalt sorgte für einigen Wirbel. Jetzt hat die Stadt den Bericht ins Netz gestellt. Es sei eine Diskussionsgrundlage, heisst es. Ein neuer Verein übt schon Kritik.

NZZ Live - 15. März 2021

Was bestimmt Zürichs Zukunft?

Wachstumsszenarien prägen die politische, wirtschaftliche und soziale Planung des Kantons

NZZ am Sonntag - 26.August 2018

Zürich muss noch grösser werden - muss es das wirklich?

Um einen Fünftel soll Zürichs Bevölkerung innert zwölf Jahren wachsen. Die Stadtpräsidentin findet das richtig. Doch das Wachstum könnte die Attraktivität
der Stadt gefährden, schreibt Felix E. Müller

Ökologische Grenzen statt Bevölkerungsszenarien

Von Irmi Seidl

Die Schweiz im Jahre 2050: aktuell dominiert das Bild der 10-Millionen-Schweiz. Doch dabei bleiben ökologische Grenzen und die damit verbundenen politischen Zielkonflikte ausgeklammert. Nun aber der Reihe nach.
Seit 1984 erstellt das Bundesamt für Statistik alle 5 Jahre Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz. Ergab das mittlere Szenario von 2010 vergleichsweise moderate Wachstumszahlen – demnach sollte die Bevölkerung bis 2055 auf 8.9 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner anwachsen –, so gab es 2015 einen Sprung: demnach könnten 2045 10,2 Mio. Menschen in der Schweiz leben. Das mittlere Szenario von 2020 rechnet für 2050 mit 10.4 Mio. EinwohnerInnen. Also ist seit 2015 die 10-Millionen-Schweiz in aller Munde; sie ist formeller und informeller Orientierungspunkt für Planung und Politik.
Die Grundlagen für diese Zahlen sind erstaunlich dünn angesichts ihres politischen Gewichts: Die Szenarien werden auf Basis von Hypothesen über die zukünftige Entwicklung der Fruchtbarkeit, der Sterblichkeit, der Ein- und Auswanderung, der Binnenwanderung und des Erwerbs des Schweizer Bürgerrechts errechnet; die errechneten Zahlen beziehen sich auf Geburten, Todesfälle, Zu- und Abwanderungen sowie Einbürgerungen (BfS 2018). Die Zahlen werden hochgerechnet, was den Sprung von 2015 erklärt: 2015 machten sich die erhöhten Einwanderungszahlen durch die Einführung der Freizügigkeit 2002 bemerkbar.

Und schon gibt es die 10-Mio-Schweiz

Zwar schreibt das Bundesamt für Statistik, es handle sich um Szenarien bzw. «plausible Entwicklungen», nicht aber um Prognosen. Doch wirken die Bevölkerungsszenarien
durchaus als Prognosen: auf ihnen basieren die Zahlen zur ständigen Wohnbevölkerung und Erwerbsbevölkerung, sie fliessen in die Szenarien zur BIP-Entwicklung 2050, in die
Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen, in die Energieperspektiven 2050, in die Verkehrsperspektiven 2050 und in die Branchenszenarien 2050 ein. Weiter orientieren
sich die Raumplanung und die kantonalen Raumkonzepte an den Bevölkerungsszenarien und das kantonale Baurecht wird entsprechend weiterentwickelt. Auch bilden sie die Grundlage für kantonale statistische Bevölkerungsszenarien. Und schliesslich stellen sich verschiedenste Organisationen auf diese Bevölkerungszahlen ein: Hochparterre gab z.B. im März 2021 ein Themenheft «So wohnt die 10-Millionen-Schweiz» heraus, die sia, swissbau, avenir suisse etc. sehen die Zahlen als Tatsache an und wollen mit Gestaltungsvorschlägen beitragen, damit sich das Unbehagen der Bevölkerung über die Auswirkungen dieser Entwicklung in Grenzen hält.
Die «plausiblen Entwicklungen» des BfS sind zur Unausweichlichkeit geworden. So erklärt z.B. die Zürcher Stadtpräsidentin, der Kanton Zürich gäbe vor, dass das künftige Bevölkerungswachstum in urbanen Gebieten zu erfolgen hätte und so bis 2040 etwa 520 000 Personen innerhalb der Stadtgrenzen wohnen könnten (in 2020: 435 000). Entsprechend meint sie im «Zürcher Tagblatt»: «Die Stadt Zürich wird weiter wachsen, das ist sicher».
Zu dieser Unausweichlichkeit ist man nicht aufgrund gesellschaftlicher und politischer Diskussionen gekommen – solche haben nicht stattgefunden –, sondern weil die «plausiblen Entwicklungen» als «unumstössliche Prognosen» eingestuft werden und es keine anderen nationalen sozio-ökonomischen Szenarien gibt. Tatsächlich können solche Prognosen zu «selbsterfüllenden Prophezeiungen» werden: Denn, wer Verkehrsinfrastrukturen säht, wird Verkehr ernten, wer in einem Land wie der Schweiz Wohnungen baut, wird auch Bewohnerinnen und Bewohner dafür finden.
Doch weil gesellschaftlich und politisch nicht diskutiert wird, ob die Bevölkerungsszenarien als Prognosen verwendet und sich die Politik darauf ausrichten sollen, werden auch Konflikte mit anderen Politiken, vor allem mit der Umweltpolitik, nicht angesprochen. Und damit verschärfen sich die Zielkonflikte, die politischen und gesellschaftlichen Debatten dazu und die Ineffizienzen, denn es wird in verschiedene, oft widersprüchliche Richtungen entschieden und entwickelt. Dabei werden Umwelt und Natur weitgehend das Nachsehen haben, löst doch der Bau der Strukturen für eine 10-Millionen-Schweiz eine enorme ökonomische Entwicklung mit ebensolchem Ressourcenverbrauch aus. Die wissenschaftlichen Hinweise dafür sind eindeutig, dass Wirtschaftswachstum mit zunehmenden Energie- und Ressourcenverbrauch einhergeht und eine absolute Entkopplung unwahrscheinlich ist.

Fünf Spannungsfelder der 10-Mio-Progonse

Es gibt mindestens fünf unangesprochene Konflikte zwischen der 10-Millionen-Schweiz und der Umweltentwicklung
- Klimaziele und CO2-Budget: Um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, müsste nach dem CO2-Budgetansatz die Schweiz ihre Emissionen pro Jahr um 3,6% und damit bis zum Jahr 2030 um 67% gegenüber 1990 reduzieren. Der Ausbau des Gebäudeparks und der Infrastruktur für eine 10-Millionen-Schweiz allerdings ist CO2-intensiv. Die Schweiz hat global den fünft höchsten Zementverbrauch pro Kopf, was das Erreichen der Klimaziele erschwert.
- Klimaanpassung: Dafür sind in vielen Fällen Flächen nötig; beispielsweise schützen Grünflächen und Pflanzen vor Hitze, Ausgleichsflächen schützen vor Hochwasser. Doch Flächen werden zunehmend knapp, unter anderem wegen des wachsenden Siedlungsareals. In der Folge gehen in Städten Grünflächen zurück und natürlicher Boden, in dem Regenwasser versickern und so durch Verdunstung die Umgebung kühlen könnte, wird knapp. Bei Renaturierungen von Flüssen für den Hochwasserschutz fehlt es häufig an Flächen. Und klar – 10 Mio Menschen werden viel Fläche beanspruchen.
- Schutz der Biodiversität: Der Verlust an Biodiversität ist eine globale Krise, die mit der Klimaerwärmung vergleichbar ist. In der Schweiz ist problematisch, wie Flächen genutzt
werden und dass natürliche Flächen knapp sind: Beispielsweise hat sich die Schweiz international verpflichtet, 17% der Landesfläche unter Schutz zu stellen. Doch davon sind
wir weit entfernt, aktuell gibt - es äusserst grosszügig gerechnet - 12.5% geschützte Fläche (die geschützten Biotope nationaler Bedeutung machen 2.2% der Landesfläche aus).
Ein Problem ist die Konkurrenz mit der zunehmenden Siedlungsfläche, inkl. Verkehrsflächen. Weiter ist die Biodiversität durch die intensive Landbewirtschaftung gefährdet. Diese wird gerechtfertigt mit den Selbstversorgungszielen für eine wachsende Bevölkerung. Die 10-Mio-Prognose dient dafür als Argument.
- Freiraumziele: Schweizer Städte kennen Ziele für Frei- und Erholungsraum für die Bevölkerung. Doch auch diese Ziele sind wegen des Wachstums der Siedlungsflächen zunehmend gefährdet, weshalb es aufwändig und teuer - wenn nicht unmöglich - wird, Freiflächen zur Verfügung zu stellen. Solche Flächen sind auch für Klimaanpassung und Biodiversität wertvoll.
- Infrastrukturkosten: Im Verkehrs- und Infrastrukturbereich wird es zunehmend aufwändig, die zahlreichen Ansprüche und Herausforderungen zu koordinieren und zu lösen. Entsprechend wachsen die Kosten. Doch es fehlen Berechnungen, wie die Kosten-NutzenBilanz der 10-Millionen-Schweiz aussieht. In einem NZZ-Interview meinte der Zürcher Regierungsrat Ernst Stocker im Juni 2015: «Das Bevölkerungswachstum (im Kanton Zürich) löst zusätzliche Kosten von rund 4 Prozent aus, hauptsächlich in der Gesundheit, in der Bildung, im Sozialen und im öffentlichen Verkehr. Die geschätzten zusätzlichen Steuererträge nehmen aber nur um rund 1,3 Prozent zu.» Bisher sind solche Aussagen lediglich grobe Grössenordnungen. Ernsthafte Berechnungen aber fehlen, auch solche, die die ökologischen Kosten einbeziehen.

Folgen für eine Agenda Raum Schweiz 2040

In der ökologischen Ökonomik wird postuliert, dass jegliches Wirtschaften eine Rahmung braucht, die sich aus den ökologischen Möglichkeiten ergibt. Entsprechend ist das Niveau der Energie- und Ressourcennutzung sowie der Emissionen zu definieren, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen und sicherstellen, dass die planetaren Grenzen, hier jene der Schweiz, nicht überschritten werden. Innerhalb dieses Rahmens kann dann die ökonomische Entwicklung stattfinden.
Will die Gesellschaft die ökologischen Grenzen ernst nehmen, so muss eine solche Rahmung für nationale Entwicklungsszenarien definiert werden. Zwischenzeitlich sollte die Agenda Raum Schweiz 2040 diese Rahmung vornehmen: Festlegen, wie viel CO2 wir noch emittieren dürfen und Vorschläge machen, wie viel des CO2-Budgets für die räumliche Entwicklung verwendet werden soll, wie viel Fläche für Klimaanpassung sowie für den Schutz der Biodiversität zu reservieren ist, wie viel Fläche eine umweltgerechte Landwirtschaft (bei welchen Formen der Ernährung) braucht und wie viele natürliche Ressourcen wie Kies und Holz für die räumliche Entwicklung zur Verfügung stehen.
Auf einer solchen ökologischen Rahmung sollten raumpolitische Gestaltungsoptionen basieren: wie soll die räumliche Entwicklung aussehen, wie soll auf gesellschaftliche Entwicklungstrends (z.B. Individualisierung, Globalisierung, Bevölkerungsentwicklung) geantwortet werden.
Unmittelbar anstehende Aufgaben für eine Agenda Raum Schweiz 2040 aber sind:
1) auf das Defizit bisheriger Raumkonzepte hinweisen, die keinen absolut begrenzenden ökologischen Rahmen formuliert haben,
2) die Bevölkerungsszenarien als «unumstössliche Prognosen» hinterfragen und
3) eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber entfachen, welche besseren Orientierungen als die Bevölkerungsszenarien die räumliche Entwicklung der Schweiz leiten sollten.

Irmi Seidl leitet die Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Eidgenössische Forschungsanstalt WSL und ist Titularprofessorin an der Universität Zürich.
In diesem Beitrag vertritt sie ihre persönliche Einschätzung.

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